Weitreichende Änderungen des Wirtschaftsrechts aufgrund der COVID-19-Pandemie

Am 27.03.2020 ist ein umfassendes Gesetzespaket in Kraft getreten, das – wenn auch nur zeitweilig – in bisher nie dagewesenem Umfang das Privatrecht ändert. Die wichtigsten Änderungen im Zivil-, Insolvenz- und Gesellschaftsrecht stellen wir Ihnen vor:

 

1. Die wichtigsten Änderungen

a) Zivilrecht

(i) (Zahlungs-)Leistungen aus vor dem 08.03.2020 geschlossenen Verbraucherverträgen, die Dauerschuldverhältnisse der Grundversorgung (z.B. Strom, Telefon) sind, können bis zum 30.06.2020 verweigert werden, wenn erhebliche Erfüllungsschwierigkeiten auf Umstände der COVID-19-Pandemie beruhen. Es fallen auch keine Zinsen an. Gleiches gilt für Kleinstunternehmen mit weniger als 10 Beschäftigten und einem Jahresumsatz oder einer Jahresbilanzsumme unter jeweils zwei Mio. Euro für betriebsnotwendige Dauerschuldverhältnisse und wenn die Erfüllung der Leistung eine angemessene Fortsetzung des Erwerbsbetriebs gefährden würde. Das Leistungsverweigerungsrecht gilt allerdings dann nicht, wenn die Verweigerung für den Gläubiger betriebsgefährdend oder unzumutbar ist. Dann steht dem Schuldner jedoch ein Recht zur Kündigung zu.

(ii) Vermieter können Mietverträge wegen Zahlungsrückständen für den Zeitraum vom 01.04.2020 bis 30.06.2020 nicht kündigen, wenn der Mieter glaubhaft macht, wegen der COVID-19-Pandemie seine Miete nicht (vollständig) zahlen zu können. Nicht geleistete Mietzahlungen müssen jedoch bis spätestens 30.06.2022 mit Verzugszinsen nachentrichtet werden.

(iii) Ansprüche von Darlehensgebern (z.B. auf Tilgung) aus vor dem 15.03.2020 abgeschlossenen Verbraucherdarlehensverträgen, die zwischen dem 01.04.2020 und dem 30.06.2020 fällig werden, werden für drei Monate gesetzlich gestundet, wenn ein Verbraucher wegen Einnahmeausfällen aufgrund der COVID-19-Pandemie seine vertraglichen Pflichten nicht (vollständig) erfüllen kann. In einem solchen Fall kann der Darlehensgeber trotz Leistungsverzugs (insbesondere Zahlungsverzugs) bis zum Ablauf der Stundung nicht kündigen.

(iv) Nach dem 30.06.2020 müssen die Parteien des Darlehensvertrages eine einvernehmliche Lösung zur Vermeidung von Doppelbelastungen finden, wenn sowohl die gestundeten als auch die regulären Raten fällig werden. Anderenfalls verlängert sich der Darlehensvertrag um drei Monate. Diese Ausnahmen greifen jedoch nicht, wenn dies für den Darlehensgeber selbst unzumutbar ist.

(v) Die Bundesregierung kann durch Rechtsverordnung (also ohne Beteiligung von Bundestag und Bundesrat) das in (i) bis (iii) genannte Moratorium bis zum 30.09.2020 unter Umständen auch darüber hinaus zu verlängern. Der Rückzahlungsaufschub in (iv) kann bis zu zwölf Monate verlängert werden.

 

b) Insolvenzrecht

(i) Die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags wird bis zum 30.09.2020 ausgesetzt, wenn die Insolvenzreife auf Folgen der COVID-19-Pandemie beruht und Aussichten auf die Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit bestehen. Sofern die Gesellschaft nicht schon zum 31.12.2019 zahlungsunfähig war, wird beides gesetzlich vermutet.

(ii) Trotz der Insolvenzreife darf der Geschäftsführer bzw. der Vorstand weitgehend weitere Geschäfte eingehen und Zahlungen vornehmen.

(iii) Rückzahlungen von neuen Krediten und die Bestellung von Kreditsicherheiten bis zum 30.09.2023 können nicht vom Insolvenzverwalter angefochten werden.

(iv) Neue Gesellschafterdarlehen werden bis zum 30.09.2023 nicht mehr gesetzlich nachrangig gestellt.

(v) Drei Monate lang können Gläubiger den Insolvenzantrag nur stellen, wenn der Insolvenzgrund bereits am 01.03.2020 vorlag.

(vi) Vertragspartner, insbesondere bei Dauerschuldverhältnissen (wie Vermieter oder Leasinggeber), werden grundsätzlich davor geschützt, dass ein Insolvenzverwalter hinterher eine Rückzahlung fordern kann oder den Vertrag anficht.

(vii) Die obigen Schutzregelungen gelten auch für Unternehmen, die nicht der Insolvenzantragspflicht unterliegen (e.K. und KG mit einer natürlichen Person als Komplementär).

(viii) Der in (i) und (v) dargestellte Aufschub zugunsten der Schuldner kann mittels Verordnung der Regierung bis zum 31.03.2021 verlängert werden.

 

c) Gesellschaftsrecht

(i) In GmbHs können Beschlüsse auch ohne Einverständnis aller Gesellschafter in Textform (z.B. per E-Mail oder in einer WhatsApp-Gruppe) gefasst werden.

(ii) Das neue Gesetz schafft die Möglichkeit der präsenzlosen, elektronisch abgehaltenen Hauptversammlung der AG, der SE und der KGaA, auch wenn die Satzung diese Verfahren bisher nicht vorsieht. Anfechtungsmöglichkeiten und das Fragerecht der Aktionäre werden eingeschränkt.

(iii) Abschlagzahlungen auf den Bilanzgewinn werden ermöglicht.

(iv) Für Genossenschaft und Vereine gelten vergleichbare Erleichterungen. Zusätzlich kann der Aufsichtsrat den Jahresabschluss der Genossenschaft feststellen.

(v) Der Vorstand kann nun mit einer Einberufungsfrist von 21 statt 30+ Tagen eine Hauptversammlung einberufen und hat vier Monate länger Zeit, sie abzuhalten. Die Frist zur Einreichung von Ergänzungsverlangen von Aktionären wird auf 14 Tage gekürzt.

(vi) Verschmelzungen und Abspaltungen kann nun auf eine Bilanz zugrunde gelegt werden, die auf einen höchstens zwölf Monate (bislang: acht Monate) vor der Anmeldung liegenden Stichtag aufgestellt wurde.

(vii) Die obigen Änderungen gelten nur für 2020, können jedoch per Rechtsverordnung bis zum 31.12.2021 verlängert werden.

 

2. Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen

Die bisher angekündigten und teilweise bereits greifenden Hilfen mit dem Kurzarbeitergeld, diverser Steuerstundungen, vielfältige Aussetzungen der Vollstreckung, staatlicher Kreditgewährungen, einschließlich Landesmittel, Bürgschaften und Zuschüssen u.ä. richteten sich an die öffentliche Hand. Mit den neuen gesetzlichen Regelungen greift der Gesetzgeber tiefgreifend und umspannend in das Miteinander der Bürger und Unternehmen ein, um die Funktionsfähigkeit der Privatwirtschaft zu gewährleisten. Der Aufschub der Zahlungsverpflichtungen der Schuldner und der Kündigungsrechte für kleinere Unternehmen sowie die Eingriffe in die Beweislast sollten Sie bei Ihren Planungen und künftigen Vertragsschlüssen im Auge behalten. Die Atempause Ihrer Insolvenzantragspflicht und der Wegfall der Verpflichtung zum Zahlungsstopp einerseits und Ihr Schutz vor der Anfechtung Ihrer Ansprüche als Gläubiger andererseits ermöglichen Ihnen vielgestaltige Möglichkeiten mit weitreichenden finanziellen Auswirkungen. Hieraus ergeben sich sehr umfangreiche Pflichten zur Anpassung und Nutzung der Erleichterungen und teils ungeahnte neue Handlungsmöglichkeiten.

Wir unterstützen Sie gerne bei Ihren Anpassungen an die derzeitige Situation und beraten Sie bei der Nutzung sich neu bietender Chancen.

Es versteht sich, dass die obige Darstellung abstrakt einen groben Überblick bieten soll und keine Rechtsberatung darstellt.

Frankfurt, den 27.03.2020

Kai Schadbach, LL.M.